Großstadtbahnhof

Durch milchige,
gewölbte Decken
sickert Licht
auf schmutzigen Beton.
Nicht ganz so blitzend
wie im Sonnenlicht,
aus Stahl und Chrom gefügt
und wie aus einem Guß,
fast lautlos gleitend
und fast stehend schon:
ein Zug.

Und Stimmenhall
und Schritte,
Schritt und Schritt
auf schmutzigem Beton:
ein Kommen
und ein Nichtmehrkommen
aus blitzend hellem
Stahl und Chrom.

Und dort,
auf einem andern Gleis,
ein Sich – Entziehen:
Stahl und Chrom;
ein letztes Winken
und ein Nichtmehrwinken
auf schmutzigem Beton.

Ist es schon so lang her,
daß Dampf aufstieg,
und stoßendes Gefauch
der Lok
sich mischte
mit dem Hall
von schweren Stiefeln
und Geklirr
von Koppelschloß
und Stahlhelm
und Gewehr?

Ist es schon so lang her,
daß Herzen fragten,
bang,
im stampfenden Gefauch
der Lok:
Werd ich dich jemals
wiedersehn?

Ein Bahnsteig
ist fast leer;
ein Kind
noch kommt
an seiner Mutter
Hand zurück,
zurück
auf schmutzigem Beton.

Wolfgang Braun
1996